Leinen, Seide… oder doch Baumwolle?
Was ist die größte Lüge des Mittelalter-Hobbyisten? Genau. „Das mach‘ ich im Winter“. Haha. Wer’s glaubt. Das musste ich mir jetzt leider auch wieder eingestehen. Wir haben Ende März (Nein Möhrchen, noch haben wir Ende Februar) und ich habe noch kein einziges Gewandungsteil fertig. KEIN. EINZIGES. Und woran liegt das? (Außer, dass der Winter gefühlt immer zu kurz ist). An meiner Unfähigkeit, mich für den passenden Stoff zu entscheiden. Denn es kann ja nicht irgendein Stoff sein – Nein, es muss ein „Mittelalter Stoff“ sein. Hach, ich liebe diese Bezeichnung.
Jetzt aber mal zum eigentlichen Thema. Das Mittelalterhobby hat gewisse ungeschriebene Richtlinien in Sachen Gewandung. Auch wenn man nicht unbedingt eine historische Darstellung anstrebt, ist es doch irgendwie gang und gäbe, dass man zumindest halbwegs authentische Materialien für seine Klamotten nutzt. Andernfalls wird man teilweise seltsam beäugt und in eine Schublade gesteckt, die irgendwo zwischen „unwissender Anfänger“ und „ignoranter GroMi“ liegt. Und das will man sich ja nun wirklich nicht antun, oder?
Zumindest kann ich immer sagen:“Hey, meine Klamotte ist Un-A wie ein Steckstuhl, aber die Materialien sind authentisch“. Was auch immer mir das bringen mag. Naja, auf jeden Fall gibt es Stoffe, die irgendwie immer auf den Mittelaltermarkt passen, nur diese zu finden, ist manchmal ein wenig schwierig. Und wenn ich schon jedes Jahr sitze und überlege, was ich jetzt verwenden kann, wie soll es dann dem Neueinsteiger gehen? Also Zeit für eine kleine Übersicht zum Thema „Mittelalter Stoffe“, also jene welche, die ihr eigentlich immer für eure Gewandung verwenden könnt.
Achtung: Der Blogpost befasst sich lediglich mit den typischen „Mittelalter-Stoffen“. Falls ihr eine historische Darstellung anstrebt, solltet ihr vorher nochmal recherchieren, welche Stoffe zu eurer gewählten Epoche passen.
Welche Stoffe sind geeignet?
Die beliebtesten Stoffe in der Mittelalterszene sind Leinen und Wolle. Das kommt nicht zuletzt daher, dass beide schon seit Jahrhunderten zum Herstellen von Kleidung genutzt werden. Und das von allen Ständen. Ebenfalls überliefert sind Seide, Hanf und Nessel. Mit diesen Stoffen könnt ihr also (fast) nichts falsch machen. Aber auch nur fast, dazu kommen wir gleich.
Machen wir vorher einen kurzen Abstecher zur Baumwolle. Bekanntlicher Weise mag Möhrchen Baumwolle in Mittelalter-Kleidung nicht. Baumwolle stinkt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ich weiß nicht, ob ihr mal im Sommer bei 30°C im Schatten in einem Baumwoll-Shirt unterwegs wart. Vermutlich schon. 3 Tage am Stück? Vermutlich nicht. Und warum nicht? Weil spätestens nach 2h so viel Schweiß in dem Teil steckt, dass ihr am Abend jedem Puma in Sachen Geruch Konkurrenz machen würdet. Und das 3 Tage lang? Na bitte nicht.
Ich weiß, das war jetzt ziemlich übertrieben. Allerdings ist es wirklich so, dass ihr in Leinenkleidung weniger riecht. Klar, nach Räucherfisch, aber nicht nach pubertierendem Teenager, der ’ne Woche nicht geduscht hat. Bei allen Naturstoffen ist der Feuchtigkeitsaustausch besser, als bei unseren handelsüblichen Baumwollstoffen. Deshalb könnt ihr die Gewandung über Nacht einfach vor dem Zelt auslüften, morgens riecht sie dann (fast) wieder komplett frisch. Cool oder? Deswegen: Lieber Leinen und Co. als Baumwolle. Da kann man ja gleich von der Stange kaufen (meine Meinung.)
Aber was ist jetzt so besonders an den Naturstoffen? Worauf muss man achten? Und was mache ich woraus? Weiter mit einer kleinen Vorstellung.
1. Leinen
Ich weiß nicht, ob es aufgefallen ist, aber ich liebe Leinen. 😀 Ich mag die Haptik, es trägt sich gut auf der Haut und hält im Sommer kühl. Außerdem gibt es Leinenstoffe in sooo vielen verschiedenen Varianten. Von ganz fein und dünn bis zu derb und robust – man kann eigentlich alles draus machen. Außerdem ist es im Vergleich relativ günstig. Absoluter Allrounder, sozusagen.
Das Einzige, was Leinen nicht kann, ist warm halten. Jepp, wer im Leinenmantel auf einen Wintermarkt fährt, wird also weniger Freude haben. Deshalb sollte man Wollkleidung auch nicht unbedingt damit abfüttern. Zum einen verziehen sich beide Stoffe unterschiedlich. Zum anderen bleibt Leinen lang nass – und damit auch kühl. Also wenn die Wollgugel außen schon trocken ist, ist das Innenfutter noch ziemlich klamm. Sehr unangenehm!
Beim Kauf solltet ihr darauf achten, dass ihr wirklich reines Leinen kauft. Manchmal nehmen es die Verkäufer nicht so genau und schreiben „Leinen“, obwohl dann 60% Baumwolle drin ist. Das ist nicht nur ärgerlich, weil es viel zu überteuert verkauft wird. Der kühlende und geruchshemmende Effekt ist dann auch bei Weitem nicht so gut. Also Augen auf beim Stoffkauf! Beim Vernähen solltet ihr nur drauf achten, dass ihr die Nahtkanten gut versäubert, da es sich sonst sehr leicht aufdröselt.
Was näht man daraus?
Unterbekleidung, Sommerkleidung, Hosen, alles, was man direkt auf der Haut trägt, Hauben, Schleier, Taschen und Beutel
Pflege?
Leinen ist sehr dankbar, was das Waschen angeht. Es ist meist bis 60°C waschbar, ich wasche meine Sachen meist bei 40°C. Zur Sicherheit. Groben Schmutz kann man vorher abbürsten. Allerdings knittert der Stoff recht leicht. Also weg vom Trockner und ab auf die Wäscheleine damit. Dann muss man es auch nicht mal mehr bügeln.
2. Wolle
Weiter mit dem nächsten „Mittelalter-Klassiker“: dem Wollstoff. Wolle wird ebenfalls seit Menschengedenken zur Textilherstellung verwendet und ist somit bestens für unsere Mittelalter-Gewandung geeignet. Leider ist es manchmal ein wenig schwierig, reinen Wollstoff im Handel zu bekommen.
Oft sind Zusätze wie Polyester enthalten, was mehr als ungünstig ist, wenn man das ganze Wochenende mit offenem Feuer zu tun hat. Zum Vergleich: reine Schurwolle verhält sich bei der Brennprobe ungefähr so, als ob ihr Haare verbrennen würdet. (Ist ja im Prinzip nichts anderes). Kräuselt sich ein wenig unter der Hitze, wird schwarz und stinkt ekelhaft. Habt ihr jetzt aber Polyesteranteile im Stoff, schmilzt dieser zu kleinen Klumpen zusammen. Was bedeutet das beim Lagerfeuer? Falls euch Glut und Funken auf den Rock (oder das Hemd, oder die Hose) fallen, wird der reine Wollstoff nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei einer Polyester-Mischung habt ihr aber meist ein Brandloch in der Kleidung. Im schlimmsten Fall schmilzt der Plastikanteil auf eurer Haut und das tut verdammt weh.
Was will Möhrchen euch damit sagen? Wenn Polytierchen-Mischung, dann bitte mit einem hohen Wollanteil. Am besten aber 100% Wolle nehmen.
So, genug Gruselgeschichten, weiter im Text. Wollstoffe gibt es ebenfalls in allen möglichen Qualitäten. Oft findet man schwere Stoffe für z.B. Mäntel, es gibt aber auch viele leichtere, teilweise sogar so dünn, dass sie nicht blickdicht sind. Im Internet werdet ihr wahrscheinlich bei der Suche auch auf sogenannte „Walkstoffe“ stoßen. Diese werden nach dem Weben nochmal verfilzt, sodass ein sehr dichter Stoff entsteht, der so gut wie windundurchlässig und sehr wasserabweisend ist. Ein großer Vorteil ist auch, dass man die Walkstoffe nicht versäubern muss, da die Kanten nicht ausfransen. Auf dem Bild sieht man mal den Unterschied zwischen Web- und Walkstoff.
Generell lässt sich sagen, dass Wolle für alles benutzt werden kann, was warm halten soll: Mäntel, Mützen, Winterbekleidung. Aber auch immer Sommer ist der Stoff nicht immer die schlechteste Wahl, da Wolle ein gewisses Eigenklima besitzt und somit nie zu heiß wird. Ich habe letzte Saison beispielsweise eine Untertunika aus dünnem Wollwebstoff getragen, die im Sommer unglaublich angenehm war (und vor dem Sonnenbrand geschützt hat!). Man muss allerdings auch sagen, dass nicht jeder jeden Wollstoff „verträgt“. Ich für meinen Teil kann Oberteile aus Wolle ohne Probleme tragen, aber sobald ich eine Hose aus dem Stoff anziehe, könnte ich mich das ganze Wochenende totkratzen. Also gerade Leute mit empfindlicher Haut sollten vorher testen, ob es angenehm zu tragen ist. Dann lieber Unterbekleidung aus Leinen oder Seide. Oder abfüttern.
Was näht man daraus?
Hauptsächlich Winterbekleidung, Mäntel, Mützen, Hosen (wer’s verträgt), Stulpen, Beutel
Pflege?
Der Wollstoff ist leider eine kleine Diva, was das Waschen angeht. Nicht zu heiß, nicht zu viel Bewegung (sonst verfilzt es) und nicht in den Trockner geben. Gibt ja nicht umsonst den Wollwaschgang :D. Ach und bloß kein normales Waschmittel, lieber Wollwaschmittel. Bei ganz wertvollen Teilen am besten gleich zur Handwäsche greifen. Dasselbe gilt übrigens auch für Wollverzierungen wie Brettchenborten und Stickerei. Bedeutet: Leinenkleid mit Brettchenborte auch nur noch im Wollwaschgang waschen. Gott sei Dank muss man das nicht so oft machen. Leichte Verschmutzungen sind leicht abzubürsten und den Geruch bekommt man durch Auslüften wieder weg.
3. Seide
Seide ist mal wieder so ein Thema für sich. Leider ist es ziemlich schwierig, welche zu bekommen, die aussieht wie „damals“. Die meisten Seidenstoffe glänzen einfach nur extrem. Und auch wenn man, wie ich, keinen Wert auf historische Authentizität legt, sieht es teilweise nur nach Karneval aus. Deswegen muss man hier genau aufpassen, dass man hier auch etwas Stimmiges findet. An alle Tierschützer und Veganer: Seide ist NICHT vegan! Bei der Herstellung von Zuchtseide werden die Seidenspinner in kochendes Wasser geworfen und somit abgetötet. Das kann man umgehen, indem man Wildseide kauft. Hier werden die Seidenkokons von bereits geschlüpften Seidenspinnern eingesammelt und verwendet.
Welche Seidenstoffe kann man jetzt also nutzen?
Das kommt natürlich immer auf euren Geschmack an. Ich persönlich mag Bourette- und Tussahseide, auch feiner Seidenpongé kann toll aussehen. Es muss zu euch und eurer Darstellung passen. Ein abgeranzter Bettler mit Seidenschleier sieht immer seltsam aus. Um einen kleinen Überblick über die verschiedenen Arten zu bekommen, gibt es hier eine PDF-Übersicht von „thesilkhouse“.
Seide ist auf jeden Fall toll, wenn es um Unterbekleidung geht, da sie eine ähnliche temperaturausgleichende Eigenschaft besitzt wie Wolle. Super Futterstoff, falls es als Oberstoff zu sehr glänzt! Ansonsten sollte man dazu sagen, dass es im Vergleich zu Wolle und Leinen teilweise ziemlich teuer ist. Also die Schnitte gut planen!
Was näht man daraus?
Unterbekleidung, leichte Sommerkleidung, Schleier, Hauben, gut als Verzierung (zum Beispiel als Besatz)
Pflege?
In den meisten Fällen kommt man um die Handwäsche nicht drum rum. Einige Waschmaschinen haben wohl einen extra Seidenwaschgang, aber selbst da bin ich mir nicht sicher, ob das wirklich so gut ist. Da Seide aus Eiweißfasern besteht, ist sie sehr empfindlich und wird schnell rau und brüchig. Deswegen immer extra Seidenwaschmittel nutzen und wenig bis gar nicht reiben. Wer auf Nummer Sicher gehen möchte, bringt größere Teile am besten in die Reinigung.
4. Hanf
Auch wieder ein toller Stoff, der leider einen großen Nachteil hat: Er ist wahnsinnig teuer! Man findet zwar öfter Hanf-Strickstoffe, die sind aber aufgrund des Maschenbildes nicht unbedingt für Mittelalter-Gewandungen geeignet. Klar, es ist immer das, was man draus macht, aber primär würde ich aus optischen Gründen davon abraten. Dank der Bio- und Fair Trade Bewegung, bekommt man ihn aber mittlerweile häufiger im Internet. Meist sogar in Deutschland produziert. Die Eigenschaften sind denen des Leinens relativ gleich. Allerdings gibt es hier noch mehr Mischgewebe, als es beim Leinenstoff der Fall ist.
Was näht man daraus?
Unterbekleidung, Sommerbekleidung, Taschen und Beutel
Pflege?
Hier gehen die Meinung leider ein wenig auseinander. Der eine sagt, einfach in die Maschine und ab geht’s. Die anderen sind eher für Handwäsche. Ich persönlich halte mich da an die Anleitung von“wikiHow“. Wenn man überlegt, was ein Meter Hanfstoff kostet, sollte man lieber einmal mehr zur Handwäsche greifen, als dass es danach kaputt ist!
5. Nesselstoff
Last but not least nun das etwas „schwierige Kind“ der hier aufgezählten Stoffe – Nessel. Problem hierbei ist, dass Brennnesselstoff zwar historisch einwandfrei ist, man unter „Nesselstoff“ aber so gut wie gar keinen Stoff aus Brennnesseln mehr findet. Nesselstoff wird nämlich heutzutage eher für festen Baumwollstoff gebraucht. Und Baumwolle stinkt, wie ihr wisst. Den einzigen richtigen Nesselstoff habe ich bei Anita Pavani gefunden. Dafür sieht der aber auch verdammt cool aus (und ist dementsprechend teuer, weil aufwendig).
Dafür hält er die Körperwärme, ist also auch gut für Herbst- und Winterbekleidung geeignet.
Was näht man daraus?
Unterbekleidung, Überbekleidung für Sommer und Winter
Pflege?
Nesselstoff ist sehr robust und hält auch höhere Temperaturen aus. 40°C – 60°C sollte er mitmachen. Anschließend auf die Wäscheleine oder in den Trockner. Fertig.
Sooo das war jetzt erstmal eine (sehr) grobe Übersicht. Zum Schluss gibt es noch eine kleine Linkliste, von Stoffhändlern, die ich mag und mit denen ich zufrieden bin.
Linkliste
Das ist eine kleine Liste der Shops, bei deinen ich schon bestellt und gute Erfahrungen gemacht habe. Die Liste wird ständig erweitert und aktualisiert. Selbstverständlich gibt es noch viel mehr Händler. Allerdings möchte ich nur Shops verlinken, bei denen ich auch wirklich schon bestellt habe (sonst könnte ich ja hier alles aufschreiben :D) und von denen ich meine, dass sie gut sind. Die mit * markierten Links sind außerdem Affiliate Links. Das bedeutet, dass ich eine kleine Provision erhalte, wenn ihr über diesen Link einkauft. Das kostet euch keinen Cent extra und ihr unterstützt damit „Möhrchen und das Mittelalter“ 🙂
Das waren jetzt mal wieder ’ne Menge Informationen auf einmal 😀 Welche Stoffe vernäht ihr denn am liebsten? Mögt ihr Baumwolle genau so wenig wie ich? Oder seid ihr da ein wenig entspannter? Über Linktipps freue ich mich auch, hinterlasst mir gerne einen Kommentar.
Ich wünsche euch auf jeden Fall viel Spaß beim nächsten Stoffeinkauf und natürlich beim Vernähen!
Habt eine tolle Woche 🙂
Möhrchen
6 Gedanken zu „Welche Stoffe eignen sich für Gewandungen?“